Klaus Egger Blog

Donnerstag, 6. Juni 2013

"Wie sieht es nun aus mit dem Wachstum Herr Weißensteiner?"

Interview mit dem Chefredakteur der Südtiroler Wirtschaftszeitung Robert Weißensteiner



Klaus Egger: Sie sind seit 28 Jahren Chefredakteur der Südtiroler Wirtschaftszeitung. Also begann ihre Zeit als Chef dieses Medium genau während der Neo-Liberalismus erneut zur Blüte aufstieg unter Ronald Reagen und Margaret Thatcher. In den 80iger begann die wirtschaftliche Globalisierung in den 90igern kam die Finanzglobalisierung dazu. Sehen sie diese beiden Entwicklungen heute kritischer als zur damaligen Zeit?


Robert Weißensteiner:Absolut sehe ich das heute anders. Aber das hängt weniger mit der Entwicklung damals zusammen, die ich immer noch als durchaus positiv empfinde, sondern mit den Erscheinungen die während der letzten 30 Jahre mitaufgetreten sind und die absolut nicht positiv sind. Reagen und Thatcher haben damals einerseits das Konzept gehabt, dass man Steuern senkt und dadurch die Wirtschaft ankurbelt und das generiert wieder Steuern. Letztendlich mehr Steuereinahmen als vor der Senkung. Und andererseits waren sie überzeugt, dass der Staat sich einfach aus vielen Bereichen zurückziehen muss und man privatisiert. Und das machte durchaus Sinn. Auch in Italien hatten wir Staatsbetriebe die absolut keine Berechtigung hatten. Zum Beispiel war der Staat bei Alfa Romeo beteiligt. Oder in der Stahlindustrie. Und da hat man auch gesehen, dass die wirtschaftlichen Staatsbetriebe einfach nicht funktioniert haben. Wobei man auch sagen muss, dass es Bereiche gibt, wo der Staat sich nicht zurückziehen soll. Bereiche die entweder Monopolstellung haben oder der Grundversorgung dienen, wie die Wasserversorgung. Dort ist es höchstgefährlich nur die Privaten wirtschaften zu lassen da diese nicht unbedingt dem Allgemeinwohl dienen müssen.

Klaus Egger: Das Stichwort mit dem man die Höhe des Einflusses eines Staates in der Wirtschaft bezeichnet ist die Staatsquote. Gibt es einen Prozentsatz wo Sie sagen, das ist vernünftig, darüber ist wirtschaftlich schädigend?

Robert Weißensteiner:Ich glaube nicht, dass man einen Wert a priori festlegen kann. Es gibt Staaten die mit einer relativ hohen Staatsquote gut funktionieren, z.B. Schweden mit einer Staatsquote um die 50%. Liegt aber sicherlich auch daran, dass der Staat selbst gut funktioniert und weil die Menschen dort eine positive Einstellung zum Staat haben. Hauptsächlich, weil sie der Staat nicht enttäuscht hat. Es gibt andere Staaten, wo eine Staatsquote von 50% eine Katastrophe ist, weil der Staat eben nicht funktioniert. In Italien ist es nun mal so, dass der Staat im Vergleich mit den skandinavischen Ländern einfach schlecht funktioniert und die Bürger auch teils verständlicherweise das Vertrauen verlieren. Mit all den Folgeerscheinungen, dass Steuerhinterziehung zum Kavaliersdelikt wird, teils wird es von vielen ja sogar als Pflicht gesehen. Nachdem der Staat uns Bürger ausnimmt, haben wir anscheinend das gefühlte Recht auch den Staat ausnehmen zu können. Aber das kann nicht auf Dauer gut gehen.

Klaus Egger: Eines der Grundprobleme der Krisen sehen viele in der pervertierten Finanzwirtschaft, sie auch?

Robert Weißensteiner:Das ist sicher eine der Hauptursachen. Aber es ist auch wichtig zu schauen, wie es zu unseren Grundproblemen kam. Ende der 80iger ging ein jahrzehntelanger Kampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus zu Ende. Und der Sieger hieß Kapitalismus. Aber es war ein Sieg mit einem sehr hohen Preis: einer wahnwitzigen Staatsverschuldung. Alle, oder fast alle, kapitalistischen Länder haben sich in diesen Jahrzehnten enorm verschuldet um den Bürger bei der Stange zu halten. Um zu verhindern, dass die Bürger sich schlecht fühlen und vielleicht auf die Idee kämen, der Kommunismus wäre doch gar nicht so schlecht. Unter anderem hat auch Italien, speziell in den 70ern unglaublich viele Gelder so ausgegeben. Die Spitze des Eisbergs waren die sogenannten Babypensionen wo Frauen teilweise mit 33 Jahren in Pension gegangen sind. Die sind heute schon 40 Jahre in Pension. So ist unsere horrende Verschuldung entstanden. Und was ist dann passiert? Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1990 hat sich die Welt verändert. Gleichzeitig kam dann die Öffnung Chinas und die große Liberalisierung des Welthandels. Und so sind die Produktionsstandorte abgewandert. Die Folgen sehen wir heute. Die industrielle Struktur ist abgewandert. Arbeitsplätze sind verloren gegangen und wir sind auf unserer Verschuldung sitzen geblieben.

Klaus Egger: Ist die Globalisierung zu schnell gegangen?

Robert Weißensteiner:Absolut. Und das ist sicherlich auch der Grund für die Entwicklung des Finanzsektors. Denn durch diese schnell Verlagerung von Arbeit in Billiglohnländern ist hier im Westen so etwas wie ein Vakuum entstanden in dem sich dann die Finanzdienstleistung entwickeln konnte. Und obwohl es diese Dienstleistungen in unserer Wirtschaft absolut braucht und die auch richtig sind, haben sich die Finanzdienste dereguliert aufgebläht. Die Währungstauschgeschäfte als Beispiel, haben heute den zehnfachen Umfang erreicht des Wertes von Austausch von Waren und Dienstleistungen. Das kann es nicht sein. Und jetzt haben wir Situationen wo sich die Briten extrem gegen die Beschneidung des Finanzsektors wehren, weil sie mit dem Londoner Finanzplatz hauptsächlich davon leben.

Klaus Egger: Fehlt der Politik der Mut den Sektor zu reglementieren?

Robert Weißensteiner:Es fehlt viel. Teilweise fehlt oft der Wille, teilweise sicher auch der Mut aber oftmals fehlt einfach auch das Wissen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass diese Riesensysteme, und dazu zähle ich auch die Staaten, kontrolliert steuerbar sind. Wir wissen nicht was passiert, wenn wir an dieser oder jener Schraube drehen. Und deshalb versuchen alle möglichst wenig zu drehen.

Klaus Egger: Das klingt sehr fatalistisch.

Robert Weißensteiner:Nein, soll es nicht. Es soll einfach zeigen, dass nichts von heute auf morgen geht. Zum Beispiel die Forderung nach Umverteilung des Steuersystems. Es klingt ja sehr gut, Steuern auf Arbeit runter, auf Ressourcenverbrauch rauf. Aber das geht nur, wenn ich diesen Prozess über viele Jahre verteile. Denn wenn ich das plötzlich mache, kann niemand voraussagen was das für Auswirkungen haben wird in diesem komplexen System. Es kann auch alles zusammen brechen und das will niemand.

Klaus Egger: Gewisse Ökonomen sagen, dass Ende des Euros ist so sicher wie das Amen im Gebet. Das sei ein rein mathematischer Vorgang. Und bevorzugen lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Also Abschaffung des Euros, Schuldenschnitt und Neuanfang. Wäre das das Beste?

Robert Weißensteiner:Auch das ist mir zu einfach formuliert. Ökonomen formulieren ihre Thesen ja auch immer aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Und man muss schon sagen, dass heute viele Dinge versucht werden um den Crash abzuwenden. Auch muss man sagen, dass nicht gleich alles abstürzen muss. Wenn man Japan als Beispiel nimmt, sieht man wie man auch mit jahrzehntelanger Rezession, zumindest leben kann, ohne das alles gleich zusammenbricht. Japan hat eine Wahnsinnsstaatsverschuldung auf sich genommen um dem zu trotzen. Hat es zwar bis heute noch nicht geschafft, muss man dazu sagen, aber ist auch nicht untergegangen. Fakt ist, dass niemand zuvor auf der Welt jemals in einer solchen globalen Krisensituation war und deshalb auch niemand die absoluten Wahrheiten kennen kann.

Klaus Egger: Näher wir uns unserem Staat. Rein mathematisch scheint es ja wirklich unmöglich, dass Italien sein Schuldenberg signifikant abbauen kann. Ist das vielleicht eine Illusion zu glauben wir könnten die Staatsschulden überhaupt abbauen?

Robert Weißensteiner:Ja das ist die große Frage. Die Staatsschuld könnte meiner Meinung nach schon getilgt werden wenn es weiterhin Wachstum gäbe. Würden wir in den nächsten 20 Jahren wirklich wieder Wachstum von 2 bis 3% haben ohne neue Schulden aufzunehmen würde es klappen. Aber da kommen schon die nächsten Fragen denen wir uns heute einfach stellen müssen: Ist weiteres Wachstum überhaupt noch möglich? Und ist weiteres Wachstum überhaupt noch wünschenswert? Können wir uns weiteres Wachstum überhaupt noch leisten?

Klaus Egger: Es gibt ja mittlerweile auch genügend Ökonomen die ein Ende des Wachstums fordern weil nicht mehr möglich ist.

Robert Weißensteiner:Meiner Meinung nach ist Wachstum schon möglich. Vielleicht in Teilbereichen. Aber da müssen wir sicherlich auch über die Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Wachstum reden.

Klaus Egger: Dann müssen wir aber die oberste Bemessungsgrundlage der Wirtschaft, das BIP (Bruttoinlandsprodukt), in Frage stellen.

Robert Weißensteiner:Ja, das müssen wir überhaupt neu definieren ob das BIP etwas über Wohlstand aussagt. Es ist schon so, dass die neuen Zeiten auch neue Antworten fordern.

Klaus Egger: Südtirol hat jahrzehntelang viel verteilen und verschenken können. Auch, und das gibt mittlerweile ja auch der Landeshauptmann zu, weil Rom uns mehr Geld überwiesen hat, als wir hier im Land an Steuern nach Rom geschickt haben. Diese Zeiten des üppigen Landeshaushalts sind wohl endgültig vorbei. Welche Aufgaben erwartet die neue Südtiroler Landesregierung im Herbst?

Robert Weißensteiner:Die Ausgangslage ist zumindest sehr klar. Wir werden in Zukunft, egal wie die aktuellen Verhandlungen verlaufen, weniger Geld oder im besten Fall gleich viel Geld haben. Aber sicherlich wird es keine Rekordhaushalte mehr geben. Und da müssen wir schon auch bei uns die Frage stellen, wo und in welchen Bereichen kann man Dinge effizienter und besser machen. Jahrelang hatten wir viele Mittel, diese Mittel haben aber nicht unbedingt dazu geführt, dass wir großartige Leistungen haben.

Klaus Egger: Sehen Sie auch den Stellabbau als probates Mittel um Kosten zu sparen?

Robert Weißensteiner:Das kann man nicht so einfach sagen. Viele Stellen sind absolut notwendig und erfüllen sehr wichtige Aufgaben. Es gibt aber leider auch Beispiele bei uns wo Arbeit „erfunden“ worden ist um Menschen in den öffentlichen Dienst aufzunehmen. Wir müssen hier differenzierter betrachten und dabei müssen wir uns alle bewusst werden, dass wir etwas ändern müssen. So weiter wie bisher geht nicht. Ich kann nur hoffen, dass die verschiedenen Gruppen hier konstruktiv mitarbeiten anstatt ideologische Grabenkämpfe zu führen.

Klaus Egger: Wir Grüne haben gerade die Gruppe „Grüne Wirtschaft“ gegründet. Auch wenn wir die Wirtschaft nun anders definieren, als vielleicht Sie, trauen Sie den Grünen Wirtschaftskompetenz zu?

Robert Weißensteiner:Ich bin überzeugt, dass es innerhalb der Grünen um ein gewaltiges Ringen um Positionen in der Wirtschaftspolitik kommen wird. Es ist nämlich ein großer Unterschied ob jemand in der Opposition sein Dasein fristet oder sich auf Regierungsverantwortung vorbereitet. Und während dieses Prozess werden große ideologische Kämpfe ausgetragen werden. Kämpfe um Grundpositionen die ich aber als grundsätzlich positiv sehe. Ich glaube, dass grüne Politik der Wirtschaft in vielen Bereichen weiter helfen kann. Wir müssen einfach zugeben, dass die Grünen in den letzten 20 Jahren viel mehr Einfluss hatten, als sie eigentlich zugeben. Sehr viele, auch konservative Parteien, haben grüne Ansätze übernommen. Und das ist sicherlich der hartnäckigen Arbeit der Grünen zu verdanken.

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