Von Robert Weißensteiner
Die Crash-Verkündung als Handelsware – Geschichten vom Untergang der Märkte finden großen Anklang, aber sie stimmen oft nicht
Der Crash kommt, er ist nicht mehr aufzuhalten: Die Börsen stürzen ab, das Geld entwertet sich, der Euro stirbt, nur Sachwerte haben Bestand. Solche Hiobsbotschaften verkaufen sich gut. Aber stimmen sie auch? Die Erfahrung lehrt: Schwarzmaler irren sich oft und immer wieder.
„Geschichten vom Untergang der Märkte verkaufen sich fast so gut wie Sex.
Sie ziehen die Menschen vor die Mattscheibe, lenken die Blicke auf Internetseiten und verleiten Menschen seit Jahrzehnten zum Kauf von Büchern, in denen es von ökonomischen Katastrophenszenarien wimmelt“, schrieb das „Wall Street Journal“ kürzlich. Mit Aussagen zum bevorstehenden Zusammenbruch der Wirtschaft lassen sich nicht nur Sorgen ausdrücken, die viele Menschen angesichts der derzeitigen Unsicherheiten umtreiben, sondern auch gute Geschäfte machen.
Auch in Südtirol wird den Pessimisten Raum gegeben, und das ist auch gut so, denn ihre Argumente sind wenigstens teilweise nachvollziehbar, und Medien haben auch eine Chronistenpflicht. Sie dürfen nicht bloß verkünden, was EZB-Präsident Mario Draghi und seine Kollegin Janet Yellen von der Fed so an währungspolitischen Maßnahmen ergreifen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, sondern sie müssen auch berichten, dass es Experten gibt, die meinen, dass das gesamte Finanzsystem nur noch künstlich am Leben gehalten, dass die Dosierung der Wirkstoffe in den verschriebenen Medikamenten laufend erhöht und dadurch Zeit gewonnen wird, der große Crash aber nicht zu verhindern ist.
Einer der großen Warner am Markt ist der Wirtschaftsprofessor Max Otte, der in seinem 2006 erschienenen Buch „Der Crash kommt“ im Kern das vorausgesagt hat, was in der Finanzkrise dann wirklich eingetreten ist (die SWZ hat das Buch seinerzeit vorgestellt). In den Jahren nach 2008 stieg Otte, der auch als unabhängiger Fondsmanager tätig ist, zum Star auf, er ist ein gefragter Referent, Interview-Partner und Gast in TV-Talkshows und Diskussionssendungen. Seine jüngste Publikation nennt er eine Streitschrift. Der Titel der nur 40 Seiten starken Broschüre ist Balsam auf die Seele der Kritiker der Europäischen Währungsunion: „Stoppt das Euro-Desaster!“ Kürzlich war Otte wiederum in Südtirol, diesmal als Gastredner beim 14. Raiffeisen-Anlegersymposium. Dabei warnte er vor dem Hintergrund der derzeitigen Rettungspolitik vor einem schleichenden Umbau unserer Gesellschaftsordnung zu einer Finanztechnokratie bzw. einer Planwirtschaft, in der Kapitalverwalter wie Investmentbanken und Hedgefonds die Herrschaft zu Lasten der produktiven Unternehmer und des Mittelstandes übernehmen. Zur anhaltenden Niedrigzinspolitik der Zentralbanken meinte er, dass das billige Geld vor allem spekulativen Finanzmarktakteuren in die Hände spiele und sich besonders die Staaten über niedrige Zinsen freuten, während die Sparer schleichend enteignet würden.
Nicht ungern in Südtirol unterwegs sind auch Matthias Weik und Marc Friedrich, deren 2012 erschienenes Buch „Der größte Raubzug der Geschichte – warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden“ ein Bestseller war. Auch dieses Buch hat die SWZ vorgestellt, und auf Einladung des Bildungshauses Lichtenburg waren die beiden in Nals und haben dort ihre Thesen vorgestellt. Ihr neues Buch knüpft an Ottes „Der Crash kommt“ an und geht einen Schritt weiter. „Der Crash ist die Lösung“, verkünden sie und erklären, „warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten“. Ihr Ansatz: Politik, Zentralbanken und Finanzbosse sind dabei, Wirtschaft und Gesellschaft durch Schulden, neue undurchsichtige Derivate, Nullzinsen und Vermehrung der Geldmenge an die Wand zu fahren; der Zusammenbruch ist unvermeidlich, je länger er hinausgezögert wird, desto schwerwiegendere Folgen hat er. Also soll man es gleich krachen lassen und dann ein nachhaltiges Wirtschafts- und Finanzsystem aufbauen. In dieser Lage raten die beiden Autoren zu einer Vermögenssicherung durch Sachwerte, insbesondere Wälder, Wiesen und Ackerland oder Immobilien und Edelmetalle. Matthias Weik und Marc Friedrich haben ihr Buch unlängst auf RAI Südtirol vorgestellt und mit ihren Aussagen offensichtlich auch Widerspruch erregt. Der Sender strahlte in der Folge ein Interview mit Professor Christoph Kaserer aus, dem Inhaber des Lehrstuhls für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der TU München. Kaserer forscht auf dem Gebiet der Unternehmensfinanzierung, Kapitalmärkte und Finanzintermediation und beschäftigt sich auch stark mit regulatorischen Fragen. In dem Interview bestätigte er natürlich, dass Gefahr besteht, verwies aber auch darauf, dass das Krisenmanagement schon Wirkung zeigt. Anzeichen dafür sind der Umstand, dass Irland und Portugal den Euro-Rettungsschirm verlassen konnten, die griechische Wirtschaft wieder von einem Wachstum ausgehen kann oder die Fed ihre Notprogramme zurückfährt.
Tatsache ist, dass seit dem Ausbruch der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise „Kassandrarufer Hochkonjunktur“ haben, wie das Wall Street Journal befand. Das Grundproblem besteht dabei darin, dass jene, die düstere Prognosen abgeben, mit viel Resonanz rechnen können, während die Aussagen von Optimisten weit weniger öffentlichkeitswirksam sind. Wenn die negativen Vorhersagen dann wirklich eintreten, stoßen deren Autoren die Medien mit geschickter Öffentlichkeitsarbeit mit der Nase darauf – und sie werden als Koryphäen gefeiert. Max Otte hat – wohl verdient – da einen Volltreffer gelandet. Wenn es aber ganz anders kommt, als düster geweissagt wurde, erinnert sich später kaum noch jemand daran. Ein Beispiel: Prof. Wilhelm Hankel, der vor seiner Emeritierung einen Lehrstuhl für Währungs- und Entwicklungspolitik an der Goethe-Universität in Frankfurt innehatte, gehörte zu den großen Euro-Gegnern. Er hat zusammen mit Gesinnungsfreunden schon 1998 erfolglos gegen die Einführung des Euro beim deutschen Bundesverfassungsgericht geklagt, er hat gegen die Griechenland-Hilfe opponiert und zusammen mit Gesinnungsgenossen das Buch „Das Euro-Abenteuer geht zu Ende“ geschrieben. Im Jahr 2011, auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise, hat er den Tod der Gemeinschaftswährung spätestens im Jahre 2014 angekündigt. Hankel ist am 15. Jänner 2014 verstorben, aber den Euro wird es wohl auch am Jahresende 2014 noch geben. Im Gegenteil: Trotz aller Schwierigkeiten, die er bereitet, ist er eine starke Währung, eine oft lästig starke, wie sein Kurs beweist, über den viele Exporteure in den Euroländern klagen.
Überhaupt haben sich viele Prognosen, die bekannte Experten seit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers gemacht haben, als vollkommen falsch erwiesen. Das Wall Street Journal hat die größten Irrtümer der Crash-Propheten aufgezeigt:
- Wirtschaft und Aktienmarkt werden einbrechen: Der bekannte US-Investor und Newsletter-Autor Harry Dent sagte 2011 für den Dow Jones Index einen Absturz auf 3.000 Punkte voraus und riet Anlegern, in den Jahren 2012 und 2013 dem Aktienmarkt fern zu bleiben. Gekommen ist es ganz anders: Der S&P 500 ist seither um fast 50 Prozent gestiegen. Noch ärger daneben lag der technische Analyst Robert Prechter mit seinen Vorhersagen (Absturz auf 1.000 Punkte). Derweil nähert sich der Dow der Marke von 17.000 Punkten. Indes prophezeit der Schweizer Investmentspezialist Marc Faber einen massiven Einbruch der Börsenkurse in den nächsten zwölf Monaten. Durchaus möglich, denn die Kurse sind hoch und Korrekturen hat es immer wieder gegeben. Wer darauf wettet, kann aber auch viel Geld verlieren.
- Der Euro ist erledigt: 2010 und 2011 begann, ausgehend von Griechenland, die Staatsschuldenkrise. In der Folge wurde dem Euro ein rasches Aus prophezeit, unter anderen vom damaligen US-Notenbankchef Alan Greenspan und von Austan Goolsbee, dem ehemaligen Chefökonom von US-Präsident Barack Obama. Aber seit EZB-Chef Mario Draghi am 26. Juli 2012 angekündigt hat, er werde alles Erforderliche tun, um den Euro zu erhalten („Und glauben Sie mir, es wird genug sein!“), hat sich die Lage beruhigt, und auch der Spread zwischen den deutschen Bund und den langfristigen Anleihen der Problemstaaten ist drastisch zurückgegangen. Natürlich hat der Euro Probleme, aber haben der Dollar und der Yen nicht noch mehr Probleme? Die USA und vor allem Japan sind stärker verschuldet als die Eurostaaten.
- Der Goldpreis steigt auf 5.000 Dollar: Die Unsicherheiten auf den Märkten und der steigende Goldpreis haben manche Experten vor und in der Finanzkrise veranlasst, einen Goldpreis in Richtung 5.000 US-Dollar je Feinunze vorauszusehen. Geschafft hat es das Edelmetall bis September 2011 auf gut 1.900 Dollar, seither sinkt der Preis wieder. Die Zentralbankenpolitik werde scheitern, dann schieße der Goldpreis wirklich hoch, heißt es jetzt.
- Es kommt eine Hyperinflation: Die Politik des billigen und vielen Geldes von Fed und EZB werde zu einer galoppierenden Inflation führen, wurde zuletzt hartnäckig verkündet. Auch dieses Szenario ist nicht eingetreten, weil das Geld gar nicht im Wirtschaftskreislauf gelandet ist.
Fazit – Natürlich birgt die Entwicklung viele Gefahren, und langfristig muss die Finanzwirtschaft wieder auf ein für die Realwirtschaft erträgliches und ihr dienendes Maß zurückgefahren werden. Über Wirkungen und unerwünschte Nebenwirkungen der Therapien, die angewandt werden, gehen die Meinungen von Fachleuten auseinander, wobei es zwei verschiedene Denkrichtungen gibt. Wer recht hat, die Schwarzmaler oder die Optimisten, wird man erst in der Nachbetrachtung wissen. Eines ist dabei sicher: Wenn alle den Tod des Euro, eine Hyperinflation, einen Börsencrash und einen Goldpreis von 5.000 Euro erwarten, droht das alles auch wirklich einzutreten, weil alle ihr Verhalten danach ausrichten. Dann hätten die Kassandra-Rufer gewonnen. Dabei haben sie sich schon so oft geirrt!
Robert Weißensteiner
robert@swz.it
Das Glas ist doppelt so groß, wie es sein müsste
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